Himmelhoch jauchzend – EIE mit verrücktestem Tor der Geschichte

Vergessen sie alles, was sie jemals gelesen haben von Krimi-Altmeister Sir Alfred Joseph Hitchcock. Vergessen sie alle Thriller, die sie jemals in ihrem Leben im Kino über die Leinwand flimmern sahen. Im Eselriet gibt es das wahre Leben. Ein unglaubliches Kapital an Sportgeschichte wurde im ersten Playoff-Achtelsfinal zwischen Illnau-Effretikon und Wallisellen geschrieben. Letztere – als vermeidliche Sieger – schon umjubelt, ereilte in der Overtime der Sudden Death. Der EIE gewann sein erstes Playoffspiel der Saison 2016/17 dank des 4:4 Ausgleiches eine Sekunde(!) vor Spielschluss und in der Verlängerung dank Michael Bollis Powerplaytreffer (61:22).

Bericht: Heinz Minder, Illnau

Die Playoff-Serie ist eröffnet. Und wie. Aus EIE-Sicht erfreulich. Der EHC Illnau-Effretikon (EIE) gewann wie vor Jahresfrist, damals gegen St. Moritz, sein erstes (der Best-of five-Serie) Heimspiel im Achtelsfinal gegen Wallisellen mit 5:4 (1:1, 2:1, 1:2; 1:0). Das Spiel begann eigentlich zu einem Zeitpunkt, als Wallisellen sich schon als Sieger wähnte. Die Schlusssirene im Eselriet ertönte. Alle Gästespieler eilten auf das Feld und feierten ihren Keeper Oliver Kaiser. Aber auch die EIE-Spieler jubelten. Sie waren der Meinung, nach einem hoch dramatischen Kampf auf Messers Schneide praktisch einen Sekundenschlag vor der Sirene noch den 4:4 Ausgleich erzielt zu haben.

Es dauerte einige Sekunden, vielleicht Minuten. Wallisellen noch immer im Gefühlshoch des Siegers, stellte sich bereits auf der Linie zur Schlussverabschiedung. Doch hinter dem Tor von Oliver Kaiser waren auch fast alle EIE-Spieler versammelt und jubelten ebenfalls. Welch groteske Situation. Mit was für einem Höhepunkt sollte dieses erste Kantonalderby zwischen Illnau-Effretikon (EIE) und Wallisellen auch nur enden. Die Schiedsrichter besprachen sich und zeigten dann auf den Anspielkreis. Nun jubelten die EIE-Spieler noch lauter. Den Gästen jedoch gefror das Blut in den Adern. Unglaublich aber wahr.

Knappe drei Minuten vor Schluss, als jedes Tor die Entscheidung bedeuten sollte/konnte, markierte Diego Kaufmann das 4:3. Vergeblich versuchten sich die EIE-Verteidiger noch mutig in den Schuss zu werfen. Die Scheibe fand den Weg ins Tor. Irgendwie. Schlüpfte durch ein kleines Loch. Vielleicht war Dennis Volkart auch noch die Sicht verdeckt. Nun. 57:09. Plötzlich hatte Wallisellen wieder alle Vorteile auf seiner Seite.

Illnau-Effretikon gegen Wallisellen. Das war die Wiederholung des Viertelsfinal Playoff des vorletzten Jahres. Damals verlor der EIE die Best-of-five Serie glatt 0:3. Das nagte noch immer am Selbstvertrauen der Zürcher Oberländer. Diese mussten erst wieder die psychologische wichtige erste Hürde nehmen. Vor einem Jahr kämpfte der EIE ebenfalls mit Heimvorteil. Auch gegen Gelb/Blau. Damals war es St. Moritz. Heuer nun Wallisellen.

Und die Gäste überraschten den Heimklub, welcher ja so als heimstark gilt, denn in den 18 Gruppenspielen hat die Mannschaft von Dieter Wieser von insgesamt neun Partien im heimischen Eselriet nur gerade deren zwei verloren. 0:5 das Derby gegen den zweifachen Meister Dürnten Vikings und 2:6 gegen Angstgegner Luzern. Wallisellen, als siebtrangierter der Gruppe 2 überraschte den EIE mit unglaublichem Forechecking, aggressivem Zweikampfverhalten und unheimlichem Offensivdrang. Den Glattalern gehörte das erste Drittel. Wallisellen führte, man ahnte und befürchtete es auf Grund des Chancenplus in den ersten zwanzig Minuten, fast verdientermassen. Es war viel Verkehr vor Dennis Volkart. Wallisellen nutzte jede sich bietende Möglichkeit um den Torabschluss zu suchen. Konsequent. Fast gradlinig und anfangs fast fehlerlos. Die Spieler von Florian Setzer setzen dem EIE hart zu. Mehr als den Einheimischen lieb war. Illnau-Effretikon bekundete grosse Mühe, ins Spiel und die erste diesjährige Playoffpartie zu kommen.

Vorteil Wallisellen. Michael Dittli brachte das Gästeteam auf Vorlage von Geremia Capelli und Nico Unterladstätter in Führung. In der achten Minute war das Derby somit richtig lanciert. Doch der EIE war nicht geschockt. Die Reaktion kam postwendend und noch in der gleichen Spielminute. Von Mirco Weinhart auf die Reise geschickt, setzte Yves Förderreuther zu einem seiner bekannten Rushes an. Der EIE-Center der dritten Linie überquerte das Feld auf der rechten Seite. Ungebremst und von Wallisellens-Hintermannschaft nicht zu stoppen, schloss Förerreuther, zuletzt samstags gegen Bellinzona im Startdrittel als Verteidigter eingesetzt, seinen Offensivdrang wirkungsvoll und resolut um. Eiskalt. Abgebrüht. Schneller Ausgleich 1:1. Alles zurück auf null. Der EIE war wieder im Spiel, Wallisellens Effortleistung war damit nach dem Startdrittel eigentlich schon schlecht belohnt. „Ich wusste von den Berichten der Gruppenspiele, dass Wallisellen jeweils wie die Feuerwehr startet“, so Dieter Wieser, der aber gestand, „doch etwas überrascht gewesen zu sein, wie offensiv die Gäste hier in Erscheinung traten“.

Nun. In der ersten Drittelspause schon fast die obligate EIE-Manöverkritik. Der Schlüssel zum Erfolg wurde gefunden. Illnau-Effretikon stellte sich auf knallhartes und intensives Zweikampfverhalten ein. Einstecken – und vielleicht auch Austeilen. Wallisellen musste sich, kaum im Mitteldrittel wieder angespielt, erstmals mit einem Icing Luft und Zeit verschaffen. So kam es zum Bully vor Kaiser. Von der Blauen Linie aus traf Verteidiger Fabian Brockhage in die Maschen. Der EIE fürhrte nach knappen 24 Minuten erstmals. Doch die Partie blieb ausgeglichen. Knallhart gings im Kampf Mann gegen Mann. Das forderte auch seine Opfer. Cristelotti musste wegen Beinstellen auf die Strafbank. Doch der EIE-Stürmer konnte nach 39 Sekunden „Erholung“ bereits wieder aufs Feld. Wallisellen hatte im Powerplay den 2:2 Ausgleich geschossen (Torschütze: Martin Nettgens). Wie gehabt – wieder alles zurück auf null.

Neustart. Bei Ausschluss von Patrick Bucher vollstreckte dann Dario Högger. Der EIE war ebenfalls im Überzahlspiel erfolgreich und liess in dieser Aktion (Zuspiele von Captain Thomas Korsch und Förderreuther) die Scheibe schon gekonnt und schnell im gegnerischen Drittel laufen. Nun war Illnau-Effretikon zum zweiten Mal in Führung. Doch dann kassierte Michael Sommer kurz vor Ende des zweiten Abschnittes noch eine Strafe. Illnau-Effretikon, das schon das Mitteldrittel mit einem Mann (Ausschluss Bolli) weniger in Angriff nehmen musste, sah sich zu Beginn des Schlussdrittels wieder einem gegnerischen Powerplay ausgesetzt. Sommer musste noch 1:26 auf der Bank sitzen. Und prompt fiel wieder ein Tor. Das 3:3 – wieder ein Powerplaytreffer – durch Nico Unterladstätter. Wie gehabt – wieder alles zurück auf null.

Neustart bei 40:37 – 4:4. Und dann eben die an Dramatik und Spannung kaum zu überbietende Schlussphase. Man ahnte es. Das nächste Tor könnte die Entscheidung bedeuten. Wallisellen war nun aber gegenüber der Startphase nicht mehr so konsequent. Schien nicht mehr so aggressiv und den Gästen unterliefen nun auch kleine Fehler. Doch dann. Knappe drei Minuten vor Schluss das 4:3 für Wallisellen dank Kaufmann. „Nun alles nach hinten“ schrie der gegnerische Headcoach Setzer. Diesen hauchdünnen Vorsprung wollte Wallisellen mit nach Hause retten. Hochdramatisch. Der EIE war nun alles nach vorne und Wallisellen hing wie ein angeschlagener Boxer, taumelnd in den Seilen. Der Ringrichter war schon am Zählen. Bei einigen Gästen schwanden die Kräfte. Kam noch dazu, dass man sich in der Schlussphase dumme Strafen leistete, aber auch verständlich, weil man gegen die nun alles auf eine Karte setzenden EIE-Spieler alle Register ziehen musste. Erst Ausschluss von Sandro Toschini wegen Beinstellen (58:39), dann für Glenn Huber wegen Hakens (59:04). 1:36 doppeltes Überzahlspiel für Illnau-Effretikon. Da sollte, nein musste doch noch was gehen. Jetzt oder nie. Leben – oder Sterben. Time-out. Letzte Besprechung. Dann ein weiterer Ausschluss für Wallisellen, Peter Hofer, wegen Stockschlag.

Dieter Wieser nimmt seinen Torhüter Dennis Volkart vom Feld – 23 Sekunden sind noch zu Spielen. Der Countdown läuft. Houston, we have a problem. Torbelagerung bei Oliver Kaiser. Die Match Uhr läuft unerbitterlich. Dann doppelter Jubel. Wallisellen wähnt sich als Sieger. Auch der EIE jubelt. Carlo Fäh hat getroffen. Das glauben seine Mitspieler. Wallisellen umringt Kaiser und feiert mit ihm, doch auch die EIE-Spieler jubeln. Die Schluss-Sirene ist auch noch ertönt. Kurz vor Fähs Torjubel. Die Schiedsrichter besprochen sich. Wallisellen hat sich schon formiert zur Verabschiedung. Die Unparteiischen zeigen zur Mitte. 4:4 Ausgleich bei 59:59!

Wie gehabt – wieder alles zurück auf null. Neustart – Verlängerung. Sudden Death. Wallisellen kann und will es noch immer nicht fassen. So nah – und doch so fern. Und dann die Overtime, die man nun mit zwei Mann weniger in Angriff nehmen muss, denn Huber und Hofer müssen noch ihre Zweier absitzen. Zusätzliche Eisreinigung. Reinigung der Köpfe. Letzte Konzentration. Vor Wiederanspiel gesteht man auf Seite Wallisellens: „Wir haben den Video-Beweis. Wir haben alles aufgenommen. Das 4:4 ist regulär erzielt worden. Die Scheibe war frei und spielbar und vor der Schluss-Sirene über der Linie“. Anerkennung. Sportlich! Hut oder Helm ab. Chapeau! Neustart. Nach 61:22 schiesst Michael Bolli, Huber ist inzwischen zurück im Spiel, von halblinker Position aus den 5:4 Siegtreffer des EIE. Was für ein erstes Playoff-Spiel. Was für eine Dramatik. Das hat man in Effretikon noch nie erlebt. Man kann sich schon auf das nächste, zweite Treffen zwischen Wallisellen und Illnau-Effretikon freuen, oder fürchten. Donnerstags zur Geisterstunde um 21:00(!!) geht’s in Wallisellen weiter. „Wir haben die erste wichtige Hürde genommen und brauchten ein Drittel, um in den diesjährigen Playoffs angekommen zu sein“, so Dieter Wieser, noch sichtlich gezeichnet vom Abnützungskampf. Das war wohl nichts für Matchbesucher und Spieler mit schwachen Nerven.

Illnau-Effretikon – Wallisellen 5:4 (1:1, 2:1, 1:2; 1:0).- Sportzentrum Eselriet (Effretikon).- 217 Zuschauer.- SR: Daniel Bertolo/Remo Egli.- Tore: 7:18 Dittli (Capelli/Unterladstätter) 0:1. 7:54 Förderreuther (Mirco Weinhart) 1:1. 24. Brockhage (Sommer) 2:1. 27. Nettgens (Hofer/Aeschlimann, Ausschluss Cristelotti) 2:2. 33. Högger (Förderreuther/Korsch, Ausschluss Bucher) 3:2. 41. Unterladstätter (Degonda/Dittli, Ausschluss Sommer) 3:3. 58. Kaufmann (Huber) 3:4. 59:59(!) Fäh 4:4. 61:22 Bolli (Grösser, Ausschluss Hofer) 5:4.- Illnau-Effretikon: Volkart (Stücheli); Christoph Weinhart, Brockhage; Brasser, Nicola Gretler; Gabriel Gretler, Giacomelli; Mirco Weinhart; Sommer, Korsch, Grösser; Vögeli, Bolli, Cristolotti; Fäh, Förderreuther, Högger; Andersen.- Wallisellen: Kaiser (Messerl); Dittli, Aeschlimann; Huber, Toschini; Glättli, Lüthi; Burkhalter, Degonda, Bucher; Capelli, Unterladstätter, Nettgens; Hofer, Kaufmann, Norvath; Nievergelt, Siegrist, Brändle.- Strafen: Illnau-Effretikon 7-Mal 2-Minuten; Wallisellen 8-Mal 2 Minuten plus 1-Mal 10 Minuten Burkhalter (Check gegen den Kopf).- Bemerkungen: Illnau-Effretikon ohne Diego Muspach, Michael Heid (verletzt), Lorenz Kuhn und Justin Wieser (ebenfalls verletzt/vorzeitiges Saisonende).- 59:37 EIE ohne Torhüter Volkart, dafür mit weiterem Feldspieler; Wallisellen mit Doppelausschluss Toschini/Huber, bei 59:37 noch Hofer.-

 

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