Schlecht gespielt und doch gewonnen

So was hat das Eselriet noch nie erlebt. Da hat im ersten Drittel die Welt gebebt. Nach zwanzig Sekunden 0:1 in Rückstand. Nach 151 Sekunden gar 0:2 – zwei Mal ins Volle dank Doppelpack Paride Tonini. Der EHC Illnau-Effretikon (EIE) steht gegen den Tabellen-Vorletzten Ascona neben den Schuhen. Hat diese scheinbar in der Garderobe vergessen. Wie an diesem Tag so vieles. Wo sind die Stärken des EIE? Was für ein Startdrittel. Sieben Tore (4:3), zwei frühe Auszeiten (EIE 02:31/Ascona 05:32). Je drei Zweier. Dazu das verletzungsbedingte temporäre Ausscheiden von EIE-Stürmer Marco Vögeli, 20 Sekunden vor Drittelsende. Blutend verlässt Vögeli die Arena.

Bericht: Heinz Minder, Illnau

Wenig passt zusammen und nichts gelingt. EIE-Headcoach Dieter Wieser nimmt sein Time-out schon nach 151 Sekunden. Weckruf. So geht es nicht meine Herren. „Wo seit ihr heute nur mit dem Grind“. Ja. das fragt sich auch das Publikum. Erstaunliche 207 Zuschauer sind gekommen. Auch wenn der Gast aus Ascona angereist ist. Hat wenigstens an diesem Samstag die Sonne mit nach Effretikon gebracht. Trotz der Tatsache, keinen lokalen Spitzenkampf zu sehen ist das Publikum erwartungsvoll. Tabellenzweiter gegen Tabellenvorletzten. Die Papierform ist klar. Was soll da schon passieren. Dachten sich wohl auch einige der EIE-Spieler. Vom Papier her ist alles klar. Leichte Sache. Ein Spaziergang? Einigen war wohl entgangen, dass der Liga-Neuling zuletzt die EIE-Direktverfolger Schaffhausen und Luzern geschlagen hat. 5:2 und 6:2. Zwei beachtliche Resultate. Wen kümmert’s?

Team zitiert nach 155 Sekunden

02:31. Wieser poltert. Die Dachträger biegen sich in der Halle. Time-out. Der EIE-Headcoach glaubt sich im falschen Film. Alles war zuvor besprochen funktioniert nicht. Das kann doch nicht sein. Was ist nur los? Die konfus gestartete Mannschaft wird zur Bank delegiert. Zitiert. Neustart. Der EIE-reagiert – blitzschnell. Dario Högger, rechts vorprellend, vollstreckt das pfannenfertige Zuspiel von Yves Förderreuther. Anschluss. 1:2. Dann hämmert Yves Brasser die Scheibe aus Distanz wuchtig ins Netz, dass es die Maschen fast zerreisst. Ausgleich nach 332 Sekunden. Was für ein verrücktes Spiel. Nun nimmt Ascona-Trainer Achille D’Ambrogio sein Time-out. Jetzt flammender Appell zur Besinnung bei den Gästen. Zweitore-Vorsprung verspielt. Geschmolzen wie der Schnee an der Sonne. Auch hier Neustart. Alles zurück auf Feld Null. Es kann wieder von vorne gestartet werden.

Zackig zum 2:2 Ausgleich

Die Strafbank kühlt nie ab. Es herrscht ein Kommen und Gehen. Moro Alessio und Yves Förderreuther lassen die Fäuste sprechen. Parlare italiano? Nein Danke. Michael Bolli bringt Illnau-Effretikon in der elften Minute erstmals in Führung. Vom 0:2 zum 3:2. Das ging zackig. Das Publikum freut’s. Fünf Tore. Im Eselriet bekommt man was für sein Geld. Warten wir es ab. Es wird noch besser. Treffend. Besser? Wäre übertrieben. Im Gegenteil. Mit einem Mann weniger (Etienne Tomamichel) gelingt Ascona per Shorthander durch Ivan Incir der Ausgleich. Offener Schlagabtausch. Wie du mir – so ich dir. Noch immer passt bei Illnau-Effretikon nichts zusammen. Fehler am laufenden Band. Scheibenverluste – schier unerklärbar. Was ist los. Dieter Wieser mag schon gar nicht mehr hinsehen. Seine Worte sind verpufft. Ungläubiges Staunen. Sprachlos. Was ist heute nur los. Noch steht die Matchuhr nicht still. Noch ist Ausharren verlangt.

Bollis erster Führungstreffer

Das Drittel ist noch nicht zu Ende. Yves Förderreuther über links. Studiert im Sturmlauf den Gegner, lässt ihn stehen. Visiert den Keeper an. Legt sich mit stoischer Ruhe die Scheibe zurecht. Schlenzt den schwarzen Kobold unhaltbar für Pierre Tomamichel unter den Netzhimmel. 18:43. Wieder führt der EIE. Diesmal 4:3. Marco Vögeli kann zusammen packen. Zehn Sekunden vor Ende des furiosen, konfusen Startdrittels erhält er einen gegnerischen Stock ins Gesicht. Klaffende und blutende Wunde. Sein Trikot ist verschmiert. Vögeli muss zum Notfallarzt. Keine Strafe für den Gegner. Der Schiedsrichter entschuldigt sich in der Drittelspause. Er konnte nicht erkennen, wer das Foulspiel verübt. Na ja? Der Langzeitverletzte Diego Muspach chauffiert den lädierten EIE-Stürmer. Der „EIE-Krankenwagen-Express“ muss nach Dietlikon. „Unterwegs noch Stau“, entschuldigt sich Muspach später für die verspätete Rückkehr. Vögeli kommt für die letzten zwölf Minuten mit vier Nähten geflickt und neuem Trikot (Rückennummer 93) zurück aufs Eis. Erste Zwanzig Minuten: Sieben Treffer.

Vom extremen Forchecking der Tessiner überrascht

Nach dem Spiel klärt der EIE-Trainer auf. „Ascona hat heute ein extremes Forechecking betrieben. Davon waren wir etwas überrascht“. Wieser gesteht, dass „ich nicht damit gerechnet habe, dass die Tessiner so offensiv kommen werden und praktisch alles auf eine Karte setzen“. Dieter Wieser: „Ja. ich war echt erstaunt, wie wir selbst gestartet sind. Von A bis Z stimmte nichts zusammen“. In der ersten Drittelspause flucht Thomas Korsch wie ein Rohrspatz. „Das schlechteste was ich bislang in meiner Karriere gesehen und geliefert habe“.

Eigenfehler minimieren

Pulver verschossen? Das Spiel des EIE bessert sich nur leicht. Die Fehler bleiben fast. Fehler bleiben bei Illnau-Effretikon selbst beim geordneten Spielaufbau hinter Volkarts Tor hervor. Immer wieder verlieren die EIE-Spieler die Zweikämpfe mit dem Gegner. Immer wieder geht die Scheibe zu den Tessiner. Auch im Überzahl fehlt dem Heimklub die Überzeugung. Zwar läuft der Puck oftmals über mehrere Stationen vor dem gegnerischen Tor. Doch wo sind die Abschlüsse? Markus Cristelotti legt sich vor Tomamichel mächtig ins Zeug. Kassiert vieles. Teilt auch einiges aus. Drei Mal auf die Strafbank.

Ascona gelingt der 4:4 Ausgleich

Doch die Zürcher Oberländer bekommen den Gegner langsam in den Griff. Es wird mit Haken und Ösen, vielen verstecken Fouls gefightet. Bei Ausschluss Marc Andersen schiesst Ascona mit einem Powerplaytreffer durch Tonini (sein dritter Treffer) den 4:4 Ausgleich. Kurz nach Spielmitte muss wieder alles von vorne anfangen. Die EIE-Cracks üben sich im Toreschiessen. Michael Bolli erkämpft sich die Scheibe. Legt dem mitstürmenden Michael Grösser auf. Dieser scheitert. Auf- und Ab. Fabian Brockhage probiert es. Erfolglos. Dann muss Dennis Volkart (mehr beschäftigt als erhofft), mit grossartiger Parade gegen Ivan Incir klären. Der 25jährige Stürmer, mit NLA-Erfahrung bei Ambri-Piotta und NLB-Einsätzen mit Basel und Ajoie scheitert mit der möglichen 5:4 Führung der Tessiner. Das wäre wieder ein Ding gewesen.

Bollis zweiter Führungstreffer

Ascona, das Illnau-Effretikon mit aggressivem Forechecking überraschte, baut sichtlich ab. Hat keine oder wenig Kräftereserven. Dino Baccini und Elia Gayer sitzen gemeinsam auf der Strafbank. Abkühlen. Aber nur für zwölf Sekunden kann Illnau-Effretikon ein doppeltes Überzahlspiel üben. Grösser und Förderreuther treffen nicht. Nun leichter Vorteil EIE. Das wird genutzt. Michael Bolli reüssiert. Verwandelt in Zusammenspiel mit Andersen/Fäh. Zum zweiten Mal. Wieder Führung Illnau-Effretikon – jetzt 5:4 und das 51 Sekunden vor Ende Mitteldrittel.

Es wäre aufgetischt

Schlussbouquet. Die Protagonisten kommen letztmals aus den Katakomben. Frisch instruiert. Wieser freut sich. Zwischenbericht aus Luzern. Sein „Lieblingsgegner“ führt im Heimspiel gegen Schaffhausen. „Es ist aufgetischt – es würde alles für uns laufen“. Würde, hätte, wenn und aber – jetzt muss der EIE seine Klasse zeigen. Noch bevor es zu den letzten zehn Minuten geht – gelingt EIE-Verteidiger Fabian Brockhage mit seinem zweiten Saisontreffer vielleicht das wichtigste Tor in dieser bisherigen Saison. 6:4. Illnau-Effretikon führt mit zwei Toren. Dann ein Foulspiel an Giacomo Del Ponte.

Volkart wehrt Del Ponte Strafstoss

Penalty. Dario Högger hat den Tessiner am Einschuss gehindert. 55:43. Schafft Del Ponte – der Vollstrecker – noch den neuerlichen Anschlusstreffer. Bringt der 26jährige Stürmer seine Farben nochmals zurück ins Spiel? Del Ponte ging aus Luganos Elite A hervor, hat 2010/11 bei Minnesota Flying Aces (Minnesota Junior Hockey League/MNJHL) 36 Partien gespielt, nach seiner Rückkehr in die Schweiz erst bei Red Ice Martigney-Verbier, dann bei Bellinzona und ist nun im dritten Jahr bei Ascona. In den zwei letzten Jahren, als die Tessiner noch in der 3. Liga spielten, erzielte Del Ponte in 32 Spielen 29 Tore und holte sich 32 Assistpunkte. Zuletzt gegen Luzern traf er zwei Mal. Die Tessiner Nummer 90 nimmt in der Spielmitte Anlauf. Holt weit rechts Schwung. Fährt auf Dennis Volkart. Der EIE-Keeper fängt den Puck. Spielstand – unverändert 6:4. Das bringt der EIE noch ins Trockene. Ascona nimmt am Schluss den Keeper vom Feld. Vergeblich.

Tief gespielt – hoch gewonnen

“Heute haben wir tief gespielt und hoch gewonnen”, so Dieter Wieser. Oder treffender: Schwach gespielt und doch gewonnen. Wieser weiss. Ein solches Spiel dürfen wir uns nicht mehr leisten. Sei’s denn. Hoffen wir. “Wir müssen alle die Lehren aus dem heutigen Match ziehen”, hofft der EIE-Headcoch. Der brachte übringens mit der Nummer 97 einen Winterthurer Elite-B Spieler – Lukas Wimber/Jahrgang 1997 – zum Ersteinsatz in der Zweitliga. Wer weiss – vielleicht ein Versprechen für die Zukunft. Von der Grösser her passt er bereits.

Wieser behielt Recht. Aufgetischt. Dank Schützenhilfe aus Luzern kann sich Illnau-Effretikon bereits einen Ausrutscher leisten. Hat jetzt fünf Punkte Vorsprung auf den Dritten Schaffhausen und das ist der nächste Gegner vom kommenden Samstag. Patrick Lüscher – wir kommen in die IWC Arena. See you soon.

Nicht bereit und völlig stumpf

Wie konnte das heute passieren? Dieter Wieser versucht zu ergründen. Sucht keine Entschuldigungen. Klärt nur auf: “Die Wahrheit ist, dass wir in dieser Woche sehr hart trainierten. Wir waren aber offensichtlich nicht bereit und anfangs völlig stumpf”. Und dann kam es doch noch, das “aber: wir konnten im richtigen Augenblick reagieren und haben uns aus dem Sumpf gekämpft”. Ab Mitte des Spieles, “konnten wir immer besser reagieren und das Team stabilisieren. Wir haben in der zweiten Hälfte dieser Partie auch nicht mehr so viele (gravierende) Fehler gemacht”. Im letzten Drittel sei “von Ascona nicht mehr viel gekommen. Da fehlte dem Gegner die Kraft”. Für den EIE-Trainer war klar: “Ich hoffe, dass wir alle, Spieler und Staff, nun die richtigen Lehren aus diesem Spiel ziehen. So jedenfalls können wir nicht wieder in die nächsten Spiele, sonst kommen wir grausam unter die Räder”.

Selbstzufriedenheit

Für Wieser ist klar: “Wir haben jetzt einen ‘Sch….-Match’ eingezogen. Ich bin froh. Wir haben jetzt einen Dämpfer kassiert. Alle haben uns nach dem Spitzenkampf vor einer Woche in Dürnten gelobt, wo wie tatsächlich hervorragend spielten und doch verloren. Irgendwie kehrte vielleicht schon eine Selbstzufriedenheit bei meinen Leuten ein. Jetzt haben wir – hoffentlich im genau richtigen Zeitpunkt – einen Schuss vor den Bug bekommen”. Trotz allem müsse er aber seiner Mannschaft auch ein Kompliment aussprechen. “Meine Truppe reagierte super und ist in der kritischen Phase nicht auseinander gebrochen. Jeder ging für den Anderen. Wir mussten auch bei den beiden Schiedsrichter tief unten durch. Ich habe heute viele versteckte Foulspiele gesehen. Vieles blieb ungeahndet. Ich bin heilfroh, dass ich noch alle Spieler gesund habe und wir heute drei weitere, wichtige Punkte holten, obwohl wir in diesem Spiel viel Dreck fressen mussten”. Fünf Punkte Vorsprung auf Schaffhausen – “so können wir nun wahrscheinlich mit einem ‘guten’ Playoff-Gegner rechnen und treffen nicht in der ersten Runde wieder auf ‘die Anderen’”.

Auch ‘Üse’ bleibt dem Team erhalten

Ah ja: Urs „Üse“ Wegmann hat sich entschieden. Er bleibt eine weitere Saison Assistent von Dieter Wieser. Bravo. Danke.

 

Illnau-Effretikon – Ascona 6:4 (4:3, 1:1, 1:0).- Eishalle Eselriet (Effretikon).- SR: Daniel Bertolo/Rico Dufner.- Tore: 00:29 Tonini (Del Ponte/Incir) 0:1. 3. Tonini (Incir, Ausschluss Tomamichel/Förderreuther) 0:2. 5. Högger (Förderreuther/Fäh) 1:2. 6. Brasser 2:2. 11. Bolli (Vögeli) 3:2. 17. Incir (Tonini/Del Ponte, eigener Ausschluss Tomamichel!) 3:3. 19. Förderreuther (Fäh) 4:3. 35. Tonini (Incir/Jotti, Ausschluss Andersen) 4:4. 40. Bolli (Andersen/Fäh, Ausschluss Del Ponte), 5:4. 47. Brockhage (Bolli/Korsch) 6:4.- Illnau-Effretikon: Volkart (Stücheli); Christoph Weinhart, Brockhage; Wimber, Brasser; Heid, Nicola Gretler; Mirco Weinhart; Sommer, Korsch, Cristelotti; Vögeli, Bolli, Grösser; Fäh, Förderreuther, Högger; Andersen.- Ascona: Pierre Tomamichel (Baumer); Jotti, Scolari; Etienne Tomamichel, Lorenzetti; Del Ponte, Ruggeri; Moro, Nicora, Incir; Gayer, Adami, Kalbermatten ; Baltensberger, Baccini.- Strafen: Illnau-Effretikon 7-Mal Zwei-Minuten; Ascona 12-Mal Zwei Minuten.- Bemerkungen: Illnau-Effretikon ohne Diego Muspach, Michael Heid (alle verletzt), Gabriel Gretler (gesperrt), Giacomelli und Ramon Winterberg (Junioren), Lorenz Kuhn und Justin Wieser (ebenfalls verletzt/vorzeitiges Saisonende).- Ersteinsatz/2. Liga-Debüt von Lukas Wimber (Elite-B Spieler Winterthur).- 2:31 Time-out Illnau-Effretikon; 5:32 Time-out Ascona; 19:50: EIE-Stürmer Marco Vögeli mit Gesichtsverletzung ausgeschieden, klaffende Wunde muss bei Notfallarzt in Dietlikon mit vier Stichen genäht werden; 49:40 Vögeli kehrt zurück (trägt neu Rückennummer 93).- 55:43 Penalty Ascona: Del Ponte scheitert beim Stande von 6:4 an Dennis Volkart; 59:00 Ascona ohne Torhüter Pierre Tomamichel.

 

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